
Neue Herausforderungen auf dem Weg zur Dekarbonisierung von Industrieunternehmen

von Shell Energy
Juni 2022
Der deutschen Industrie steht in den nächsten Jahren ein beispielloser Wandel bevor. Berechnungen des Umweltbundesamtes zufolge war die Industrie im Jahr 2021 für rund 23,8 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich.1 Trotz steigenden Energiebedarfs werden die CO2-Emissionen zukünftig sinken müssen. Im Sinne der Energiewende wäre es ideal, wenn schon morgen alle Unternehmen auf erneuerbare Energien und CO2-arme Prozesse umstellen würden. Der Weg dahin ist aber ein langwieriger Prozess, denn fossile Energieträger sind mittelfristig auch weiterhin für die Versorgungssicherheit der Industrie notwendig. So können Unternehmen mit Erdgas einen ersten wichtigen Schritt bei der Transformation gehen und ihren CO2-Fußabdruck in der Zwischenzeit maßgeblich senken.
Viele Unternehmen haben bereits damit begonnen, die Dekarbonisierung ihrer Prozesse und Energieversorgung voranzutreiben. Vor besonders großen Herausforderungen stehen Sektoren, deren Prozesse sich nicht elektrifizieren und damit auf Strom aus erneuerbaren Energiequellen umstellen lassen. Für sie ist das langfristige Ziel, von Kohle und Erdöl auf grüne Gase wie Biomethan und grünen Wasserstoff umzusteigen. Solche Alternativen sind aber aktuell nur in sehr geringen Mengen verfügbar.
Industrieunternehmen benötigen allerdings schon heute Lösungen, um CO2-Emissionen zu reduzieren und die Umstellung auf grüne Energie einzuleiten. Erdgas und die daraus entstehenden Produkten (z.B. Wasserstoff) kann dabei eine Schlüsselrolle spielen. Erdgas zeichnet sich besonders dadurch aus, dass es vielfältig einsetzbar und im Vergleich der CO2-ärmste fossile Energieträger ist. 2021 lag der industrielle Einsatz von Erdgas bei rund 369 Mrd. kWh, was 37 Prozent des gesamtdeutschen Erdgasabsatzes entsprach.2

LNG – flexible Erdgasversorgung
Um auch zukünftig für die Versorgung mit Erdgas gewappnet zu sein, setzt Shell auch in Deutschland auf LNG (Liquefied Natural Gas). LNG wird durch das Herunterkühlen von Erdgas auf -162 °C erzeugt. In diesem flüssigen Zustand hat es ein 600-fach geringeres Volumen als Erdgas. LNG ermöglicht somit eine sehr flexible Versorgung mit Erdgas, die sich zudem schnell an sich verändernde Handelsstrukturen anpassen kann.
Über die Abnahme von flüssigem Erdgas führt Shell Gespräche mit verschiedenen Partnern. So hat Shell bereits ein „Memorandum of Understanding“ mit der German LNG Terminal GmbH unterzeichnet, die das geplante LNG-Terminal in Brunsbüttel betreibt. Das Terminal wird aus zwei Tanks zu je 165,000 m³ für die Zwischenspeicherung von LNG (Liquefied Natural Gas) bestehen.
Statt sich auf Erdgas für eine schrittweise Dekarbonisierung zu verlassen, muss der Ausbau erneuerbarer Energiequellen massiv beschleunigt werden. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und in ihrem sogenannten Osterpaket entsprechende Ziele und Maßnahmen vorgelegt. Industrieunternehmen müssen sich jetzt mit dieser neuen Ausgangslage vertraut machen und ihre Dekarbonisierungsstrategie unter Berücksichtigung der neuen Lage anpassen. Dabei wird für viele Unternehmen der Fokus darauf liegen, Wege zu finden, den Einsatz grüner Gase wie Biomethan und grünem Wasserstoff vorzubereiten.
Anwendungszwecke in der Industrie
Je nach Sektor finden grüne Gase unter anderem als Ersatz für Erdgas sowohl zur Strom- als auch Wärmeerzeugung Verwendung. So ist beispielsweise die Stahl- und Metallindustrie bisher auf sehr hohe Temperaturen in ihren Hochöfen angewiesen, die heute noch zu großem Teil mit Kohle betrieben werden. Allein die Herstellung von Roheisen und Stahl waren dem Umweltbundesamt zufolge im Jahr 2019 für 30,2 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß verantwortlich. Das entsprach nahezu 8,5 Prozent der deutschlandweit gemeldeten CO2-Emissionen.
Eine Alternative dazu stellt das Direktreduktionsverfahren dar, bei dem Wasserstoff als Reduktionsgas eingesetzt wird, um Eisenerz zu Eisenschwamm zu verarbeiten. Im Gegensatz zum Hochofen entsteht somit kein CO2, sondern nur Wasser.
Schon heute wird in der Industrie vielfach Wasserstoff verwendet – etwa im Chemiesektor zur Synthese von Ammoniak, das große Bedeutung für die Düngemittelherstellung hat. Dabei wird per Dampfreformierung aus Erdgas Wasserstoff hergestellt. Wenn das daraus resultierende CO2 abgeschieden und gespeichert wird, handelt es sich um blauen Wasserstoff.
Um den CO2-Fußabdruck noch weiter zu senken, lässt sich der aus Erdgas hergestellte Wasserstoff im nächsten Schritt durch Elektrolyse-Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen wie Solar und Wind ersetzen, sobald dieser in ausreichenden Mengen und zu wettbewerbsfähigen Konditionen zur Verfügung steht.
Was bedeutet welche Farbe bei Wasserstoff?
- Grauer Wasserstoff: Per Dampfreformierung aus Erdgas hergestellter Wasserstoff, ohne dass eine Kohlenstoffabscheidung vorgenommen wird. Das CO2 entweicht in die Atmosphäre.
- Blauer Wasserstoff: Per Dampfreformierung hergestellter grauer Wasserstoff, dessen CO2 bei der Herstellung abgeschieden und gespeichert wird (Carbon Capture and Storage).
- Türkiser Wasserstoff: Wasserstoff, der per Pyrolyseverfahren erzeugt wird. Als Nebenprodukt entsteht dabei fester Kohlenstoff. Die CO2-Intensität ist abhängig von der Energie, die für die Pyrolyse genutzt wird.
- Grüner Wasserstoff: Komplett CO2-neutral ist nur grüner Wasserstoff, der per Elektrolyse aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne oder Wind hergestellt wird.
- Gelber Wasserstoff: Wasserstoff, der aus konventionellem Strom produziert wird.
- Roter Wasserstoff: Per Elektrolyse aus Atomstrom hergestellter Wasserstoff.

Die Nationale Wasserstoffstrategie beziffert den Bedarf bis 2030 mit 110 TWh.
Alternative Energieträger bereiten Weg für die Zukunft
Durch Erdgas und blauen Wasserstoff konnten Unternehmen bereits ihre Prozesse und Energieversorgung auf die Energiewende ausrichten und dabei schrittweise den eigenen CO2-Fußabdruck reduzieren. Bisher war damit schon ein Großteil der irgendwann nötigen Umstellungen vorgenommen. Mit der Marktaktivierung von grünem Wasserstoff könnte im nächsten Schritt der Umstieg auf einen CO2-freien Energieträger ermöglicht werden.
Mit dem beschlossenen Atomausstieg 2022 und dem anvisierten Kohleausstieg sowie dem Ausbau der Erneuerbaren auf 80 Prozent im Strommix bis 2030, wird die Bedeutung von Wasserstoff weiter zunehmen, um ergänzend mit Erdgas eine sichere Stromerzeugung in Stunden mit geringer erneuerbarer Erzeugung sicherzustellen. Hierzu wird in Deutschland hauptsächlich auf Solar- und Windenergie gesetzt – On- wie Offshore. Der erneuerbare Strom wird bei diesem Verfahren genutzt, um Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten. Der daraus resultierende grüne Wasserstoff ist CO2-neutral und kann vielfältig eingesetzt werden.
Eine nachhaltige Alternative zu Erdgas stellt wiederum Biomethan dar. Es verfügt über die gleichen Eigenschaften wie das fossile Erdgas und stellt somit eine Option für Prozesse dar, die auf Erdgas angewiesen sind. Allerdings wird Biomethan nur einen geringen Teil des bisherigen Erdgasbedarfs ersetzen können. Bis 2030 könnten dem BDEW zufolge bis zu 10,3 Mrd. m³ Biomethan pro Jahr (PDF) in das deutsche Gasnetz eingespeist werden. Das entspricht rund 100 TWh pro Jahr. Die CO2-Intensität von Biomethan variiert je nachdem, woraus es hergestellt wird.
2 BDEW: Erdgasabsatz nach Kundengruppen (vorläufige Zahlen). https://www.bdew.de/service/daten-und-grafiken/erdgasabsatz-nach-kundengruppen/